11 September 2018

Berufliche Vorsorge und HR-Strategie – was steht auf dem Spiel?

Der Anstieg der Lebenserwartung, der Rückgang der Geburtenrate und die Pensionierung der Baby-Boomer-Generation sind nur einige der demografischen Herausforderungen, die künftig auf allgemeiner gesellschaftlicher Ebene, von den Sozialversicherungen, aber auch von der HR-Funktion der Unternehmen zu bewältigen werden müssen. Welche strategischen Überlegungen sind also im HR-Sektor anzustellen, um diesen Herausforderungen zu begegnen? 

Die wichtigsten Herausforderungen

Der Anstieg der Lebenserwartung in den Industrieländern erhöht den Druck auf die Finanzierung der Sozialversicherungen sowohl in der 1. als auch der 2. Säule in starkem Masse. In der Schweiz (mit der Reformvorlage Altersvorsorge 2020, die vom schweizerischen Volk im Herbst 2017 abgelehnt wurde) wie auch in anderen Ländern Europas ist die Anhebung des Rentenalters häufig eine der von den Regierungen vorgeschlagenen Massnahmen, um die Beiträge wieder ins Gleichgewicht mit den Leistungszahlungen zu bringen. 
Derzeit liegt das ordentliche Rentenalter in der Schweiz bei 64 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männer. Andere Länder, insbesondere in Europa, haben diese Schwellen bereits überschritten. Hier ist also eine klare Tendenz erkennbar! Diese Erhöhung bedeutet, dass die Arbeitnehmer länger im Arbeitsmarkt bleiben. Der Anstieg von älter werdenden Erwerbstätigen wird Auswirkungen auf die Funktionsweise der Unternehmen und insbesondere auf das Personalmanagement haben. Ein Beispiel ist die Anpassung der Arbeitsbedingungen, die zu Überlegungen mit Blick auf den Gesundheitsschutz der älteren aktiven Bevölkerung am Arbeitsmarkt führt. Infolgedessen werden die Personalabteilungen wohl eine mehrere Generationen umfassende Population mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen verwalten müssen – ganz zu schweigen von den erhöhten Anforderungen an das Gesundheitsmanagement im Unternehmen. 

Die Anhebung des Rentenalters hat direkte Auswirkungen auf eine andere Herausforderung, die künftig vom HR gemeistert werden muss: die Flexibilisierung des Rentenalters. Laut einer im Juni 2018 von Swisscanto veröffentlichten Studie über die Pensionskassen der Schweiz  (Etude sur les caisses de pension Suisse en 2018, 2018), wechseln über 60% der Arbeitnehmer vorzeitig in den Ruhestand. Zu beobachten ist ausserdem, dass immer mehr Arbeitnehmer ihre Pensionierung durch Reduzierung des Beschäftigungsgrades über mehrere Jahre staffeln. Diese vom Gesetzgeber geförderte Flexibilisierung wird eine zunehmend grössere in Teilzeit arbeitende Bevölkerungsgruppe zur Folge haben. Zudem gibt es auch eine Zunahme der Heimarbeit (Home Office) welche zu berücksichtigen ist. Diese Phänomene bedingen, dass das HR sowie die Abteilungsleiter mit einer zunehmenden Komplexität der Arbeitsorganisation zu kämpfen haben werden, wie etwa mit dem Wissenstransfer zwischen Personen, die sich ein und denselben Arbeitsplatz teilen (Jobsharing), oder zwischen erfahrenen Arbeitnehmern und jungen Mitarbeitenden. 

Eine andere Herausforderung für die Personalverwaltung ist die laufende Senkung des Umwandlungssatzes bei den Pensionskassen. Ohne Berücksichtigung der Renditen an den Finanzmärkten und von Zinsgutschriften auf den Alterskonten der Mitarbeitenden führt eine Reduzierung des Umwandlungssatzes ohne gleichzeitige Erhöhung der Altersgutschriften oder des versicherten Lohns zu einer Senkung der Altersleistungen. Diese Folge ist natürlich erst im Rentenalter spürbar, aber sie ändert die Gesamtvergütung, die der Arbeitnehmer für seine Arbeitsleistung erhält. Im Übrigen kann sich eine Verbesserung des Vorsorgeplans, um dieser Tendenz entgegenzuwirken, unmittelbar auf das Nettoeinkommen der Mitarbeitenden auswirken, oder – wenn diese durch den Arbeitgeber getragen wird – eine Erhöhung der Arbeitgeberaufwendungen zur Folge haben. Eine äusserst knifflige Angelegenheit für das HR!

Reflexionen, die der Personalverwaltung bevorstehen

Die zu implementierende HR-Strategien, mit der diesen Herausforderungen begegnet werden kann, ist sehr vielfältig, bedarf einer sorgfältigen Auswahl und muss nicht nur mit der Unternehmensstrategie, sondern auch mit der sonstigen bereits eingeführten oder geplanten HR-Praktiken im Einklang stehen. Es gibt nichts Schlimmeres, als den Ansatz eines anderen Unternehmens zu kopieren, der im eigenen Unternehmen jedoch kaum sinnvoll ist. 

Veränderungen auf der Ebene der beruflichen Vorsorge müssen im Rahmen der Employer Value Proposition (EVP) analysiert werden. Zur EVP gehört alles, was das Unternehmen den Mitarbeitenden als Gegenleistung für die von ihnen erbrachten Arbeitsleistungen bietet. Dazu zählen nicht nur konkrete Leistungen wie Vergütung, bezahlter Urlaub oder die berufliche Vorsorge, sondern auch weniger materielle Elemente wie Unternehmenswerte und -kultur. Jedes Unternehmen verfügt über eine EVP, selbst wenn diese nur unterschwellig existiert und nicht kommuniziert wird. Wie bereits angesprochen, beeinflussen Änderungen auf der Ebene des Vorsorgeplans die Gesamtvergütung und damit die EVP. Die gleiche Logik gilt für die Wahl der Pensionskasse und ihre Fähigkeit, den Alterskonten der Mitarbeitenden Zinsen gutzuschreiben. 

Eine EVP, die der gewünschten strategischen Positionierung der Firma entspricht, erlaubt es dem Unternehmen, Mitarbeitende zu rekrutieren, aber auch zu halten. In diesem Zusammenhang werden die im Rahmen der beruflichen Vorsorge angebotenen Leistungen immer wichtiger. Tatsächlich stellen wir in unseren Einstellungsgesprächen und in Diskussionen mit unseren Klienten fest, dass sich die Mitarbeitenden immer häufiger über die Leistungen der beruflichen Vorsorge erkundigen. Diese Tendenz wird durch das « Sorgenbarometer » der Credit Suisse bestätigt (Crédit Suisse, 2017), auf dem die Altersvorsorge für die Bevölkerung der Schweiz auf Platz 1 vorgerückt ist! Das HR spielt also eine äusserst wichtige Rolle bei der Definition der beruflichen Vorsorgeleistungen, um sicherzustellen, dass diese die vom Unternehmen angestrebte EVP vervollständigen.

Es ist aber ebenfalls möglich, den Vorsorgeplan ohne Mehrkosten zu modifizieren, wenn beispielsweise Beitragsskalen oder sogenannte «1e-Vorsorgepläne» gewählt werden. Letztere erlauben es jedem Mitarbeitenden, für den Anteil seines Jahreslohns, der CHF 126'900 überschreitet, seine Anlagestrategie selbst zu wählen. Anhand dieser Möglichkeiten könnten die Vorsorgepläne attraktiver gestaltet werden.

Die Herausforderungen sind zahlreich und es gibt sowohl auf der Ebene der HR-Praktiken als auch der in der beruflichen Vorsorge Lösungen. Am wichtigsten ist jedoch, einen Überblick über die verschiedenen Änderungen zu gewinnen und sorgfältig die Auswirkungen der Vorgehensweise zu analysieren, die jedes Unternehmen implementieren möchte.
 

Patrick Zwahlen
HR Services Director

 

Referenzen
Crédit Suisse. (2017). Sorgenbarometer 2017. Zürich.
Swisscanto Vorsorge. (2018). Schweizer Pensionskassenstudie 2018: Renditen retten Rentensystem, Zürich.